Der emeritierte Kurienkardinal Paul Josef Cordes [Eintrag bei wikipedia] widmet sein neuestes Buch jenen „Mystikern“, die durch ihre Gewissheit des Glaubens, welche auf einer persönlichen Gottesbegegnung beruht, dem nach Gewissheit strebenden modernen Menschen zumindest eine Richtung weisen können. Borromäusverein und Sankt Michaelsbund empfehlen sein Buch als Religiöses Buch des Monats.
Das erste Kapitel versucht unter der Überschrift „Horchen auf leise Botschaften“ ein wenig herauszuarbeiten, was solchen tiefen Gottesbegegnungen gemeinsam ist, was man aus diesen Zeugnissen auch für den eigenen Glauben gewinnen kann. Vor allem natürlich dies: dass Gott ist und wie er sich zu erfahren geben kann. Denn die Mystiker waren ja von ihrer Erfahrung derart überwältigt, dass sie das unbedingt mitteilen wollten, hatten erkannt, dass Gott nicht nur zu ihnen, sondern durch sie auch zu anderen sprechen wollte. Ihre Aufzeichnungen enthalten allerdings keine dogmatischen Wahrheiten, versuchen vielmehr eine Erfahrung zu beschreiben, sind deshalb individuell und persönlich.
Am allermeisten trifft dies wohl zu auf die zentrale Gestalt des Buches – sicher nicht umsonst kein Mystiker des Mittelalters, sondern ein Mensch der Neuzeit: Blaise Pascal. Der brillante Mathematiker und Physiker steht einerseits für die Rationalität des modernen Menschen, andererseits für die Einsicht, dass die Welt in ihrer vielfachen Begrenztheit der tiefen Sehnsucht unseres Herzens nie genügen kann – erst die im „Mémorial“ von 1654 festgehaltene Gottesbegegnung löst für Pascal den Widerspruch zwischen Größe und Elend des Menschen auf. Cordes untersucht die wesentlichen Punkte dieser so berührenden Aufzeichnung einer unmittelbaren Gotteserfahrung, weist darauf hin, dass sie fern jeder Schwärmerei ist, absolut vereinbar mit Pascals Rationalität.
Danach werden aber auch die drei großen deutschen Mystikerinnen des Mittelalters vorgestellt, Hildegard von Bingen, Mechthild von Magdeburg und Gertrud von Helfta, dazu die drei großen Dominikaner Meister Eckhart, Johannes Tauler und Heinrich Seuse. Ein eigenes Kapitel widmet Paul Josef Cordes dann dem bei uns wenig bekannten spanischen Mystiker Raimondo Lull, dessen ungewöhnliche Lebensgeschichte und dessen mystische Schriften sich gegenseitig erhellen. Nach Visionen des gekreuzigten Christus wurde er zum unermüdlichen Laienmissionar und zu einem der einflussreichsten Gelehrten seiner Zeit – alle Anstrengungen des Verstandes, Wissenschaft und Kunst, ordnete er aber ganz dem einen Ziel unter, Christus zu dienen.
Im abschließenden Kapitel untersucht der Autor in der Diskussion mit verschiedenen Ansätzen, ob und inwieweit mystische Gottesbegegnungen auch dem modernen Menschen noch möglich sind. Was jedoch die christliche Mystik von ähnlichen Phänomenen anderer Religionen fundamental unterscheidet und eben dadurch „zeitlos“ macht, ist eben die Person Christi, der sich dem Gottsucher jederzeit und allein von sich aus zuwenden kann. Kein christlicher Mystiker hat je behauptet, eine Gottesbegegnung aus sich selbst heraus, ohne die Vermittlung durch Jesus Christus hervorgebracht zu haben. Sehr wohl aber können Mystiker durch ihr Zeugnis auch andere Menschen dazu veranlassen, in Jesus Christus Gottes Antlitz zu suchen. Dafür liefert dieses Buch schöne und wertvolle Beispiele. Thomas Steinherr (Sankt Michaelsbund)
Paul Josef Cordes: Spuren-Sicherung. Mystiker bezeugen Gott. Kevelaer, Butzon & Bercker 2012 – 181 S., 19,95 €. Dieses Buch können Sie bei der borro medien gmbh kaufen.
(Als „Religiöses Buch des Monats“ benennen der Borromäusverein, Bonn, und der Sankt Michaelsbund, München, monatlich eine religiöse Literaturempfehlung, die inhaltlich-literarisch orientiert ist und auf den wachsenden Sinnhunger unserer Zeit antwortet.)